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Eine Erinnerung an den Schriftsteller Hans Habe (1911-1977)

Neuer Antisemitismus, diesmal von Teilen der Linken? Leider nicht gänzlich "neu". Wohl eher ist es die ewige Geschichte eines Verrats an der Aufklärung. Der jüdische Nazigegner, Romancier und Publizist Hans Habe hatte diese Perversion schon vor über fünf Jahrzehnten präzise analysiert.

Das demokratische Israel in höchster Not, hasserfüllt herausgebrüllte Vernichtungsphantasien in den umliegenden arabischen Staaten, sinistre Signale aus Moskau und dazu in Deutschland gewisse Teile einer „antiimperialistischen“ Linken, die dem tödlich bedrohten Staat am östlichen Mittelmeer jegliche Solidarität verweigern und stattdessen infamste Täter-Opfer-Umkehr betreiben.

Eine Lagebeschreibung aus diesen Tagen? Gewiss. Das gleiche Szenario gab es jedoch bereits vor fünfzig Jahren, während des Israel aufgezwungenen Yom-Kippur-Krieges, und auch schon zuvor – 1967, in Folge des Sechs-Tage-Krieges. (Ganz zu schweigen von jenen „Kein Blut für Öl“-Bettlaken im Januar/Februar 1991, als Teile der deutschen Friedensbewegung auf die Straße gegangen waren, damit dem von Saddam Hussein ebenso tödlich attackierten Israel keine Patriot-Abwehrraketen geliefert wurden.)

Seltsam, dass in einem Land, das sich so häufig als vermeintlicher „Erinnerungsweltmeister“ selbst auf die Schultern klopft und die Rhetorik eines „Wehret den Anfängen/Nie wieder!“ bei nahezu jeder Gelegenheit pflegt, völlig vergessen scheint, welche Muster der Niedertracht hier in Abständen immer wieder aktiviert werden. Es ist weit mehr als lediglich (literatur-)historische Reminiszenz, wenn nun an einen deutschsprachigen jüdischen Schriftsteller und Publizisten erinnert werden soll, der schon damals das allzu schmeichelhafte Selbstbild eines vorgeblich progressiv-geläuterten Deutschland hart und präzis mit der erschreckenden Wirklichkeit abgeglichen hat.

Hans Habe (1911-1977) findet man allerdings kaum im Literaturkanon und im kulturellen Gedächtnis dieses Landes. Ein wenig zugespitzt ließe sich sagen: Ein gewisses juste milieu, das „Antifaschismus“ und „Diversität“ wie eine Monstranz vor sich herträgt, gleichzeitig jedoch das politisch und ethisch denkbar diverse, demokratische Israel bei nahezu jeder Gelegenheit anklagt und sich spätestens seit 1968 aus sich selbst heraus fortzupflanzen scheint, hat über die Jahre und Jahrzehnte in Universitäten, Verlagen, Kulturinstitutionen und Redaktionen tatsächlich ganze Amnesie-Arbeit geleistet.

 

Hans Habe – who?

Dabei hatte der ursprünglich aus Budapest stammende Autor schon 1939 in seinem Völkerbund-Roman „Tödlicher Friede“ einen genauen Sinn für das fatale Wechselspiel zwischen Terror, fortlaufenden Bedrohungen und leider ebenso permanenten Beschwichtigungen bewiesen: So wie man 1935 in Genf zu den faschistischen Mussolini-Massakern in Äthiopien geschwiegen hatte und 1936 aus falsch verstandener Neutralität der spanischen Republik den Beistand gegen die Franco-Putschisten verweigerte, so töricht hatte man dann auch 1938 angesichts der westlichen Preisgabe der demokratischen Tschechoslowakei aufgeatmet: „Peace for our time“, vermeintlich.

Hans Habe aber befand sich bereits während der Niederschrift seines aufrüttelnden Zeitromans auf der Flucht vor den Nazis, die „München ´38“ selbstverständlich als Ermutigung verstanden hatten, nun quasi ganz Europa unter ihr Joch zu zwingen. Im 1940 angegriffenen Frankreich schloss sich Habe als Freiwilliger der französischen Armee an, geriet in deutsche Kriegsgefangenschaft (in der seine jüdische Identität unentdeckt blieb) und vermochte schließlich zu fliehen. Kaum nach einer brandgefährlichen Odyssee via Lissabon in den Vereinigten Staaten angelangt, schrieb er über seine Erlebnisse den packenden Tatsachenroman „Ob tausend fallen“, der sogleich von Hollywood verfilmt wurde. Wenig später war Habe als Lieutenant der US-Army im legendären Camp Ritchie für die psychologische Kriegsvorbereitung vor allem deutschsprachiger Emigranten zuständig; der Name eines seiner damaligen Mitstreiter: Stefan Heym.

In Nordafrika, auf Sizilien und schließlich am Golf von Salerno direkt an der Befreiung vom Nazi-Regime beteiligt, wurde Habe danach von den amerikanischen Alliierten mit der Neugründung von Zeitungen auf (west-)deutschem Gebiet beauftragt – eine ganz frühe Sternstunde einer Re-Zivilisierung, die es freilich auch nicht so richtig in das sich progressiv dünkende Geschichtsbewusstsein unseres Landes geschafft hat.

Dies, in Kürze und so manch anderes Entscheidendes im Leben und umfangreichen literarischen Werk dieses dezidiert antirassistischen wie antikommunistischen Roosevelt- und Kennedy-Bewunderers beiseite lassend, war also der Hintergrund Hans Habes, als er ab Mitte der sechziger Jahre zusätzlich irritiert auf die Bundesrepublik zu schauen begann. Ging es doch nun nicht mehr nur um die alten Nazis und die Mitläufer samt ihren Entlastungs-Legenden, sondern um deren Kinder – zumindest um jene von ihnen, die spätestens ab 1967 auf ihre Weise Judenhass artikulierten. „Schlagt die Zionisten tot/ Macht den Nahen Osten rot“. Und so wurde Ex-Lieutenant Hans Habe nicht müde, auch diesen Kampf zu führen – im übrigen ohne jegliche Illusionen ob des Vielleicht-ja-doch-Geläutertseins dieser angeblich so „unbelasteten jungen Deutschen“. Hatte er doch bereits kurz nach Kriegsende auch bei zahlreichen Jüngeren jene fortgesetzte emotionale Hartleibigkeit erspürt, ein forsches Rudelverhalten, das nun zwar nicht mehr nazistisch begründet war, sich aber jetzt mit ähnlichem Furor gegen Phantasmen wie etwa den „amerikanischen Kolonialismus“ richtete. In dieser Zeit hatte Habe an Thomas Mann geschrieben: „Diese jungen Leute hassen ihre Väter. Aber die Feinde ihrer Väter hassen sie noch mehr.“ Es würde also nur eine Frage der Zeit sein, ehe auch der Antisemitismus ein neues Kleid bekäme; heute würde man vielleicht sagen: upgedated wäre.

Und so war dann auch, sogleich nach dem gewonnenen Sechs-Tage-Krieg und der quasi in letzter Minute abgewandten Katastrophe der Auslöschung des jüdischen Staates, Israel als Feindbild hinzugekommen. Trister Treppenwitz der Geschichte, infame Umwertung aller Werte: Ausgerechnet die sozialdemokratisch regierte Kibbuz-Gesellschaft sollte „faschistisch“ sein, während mit den diktatorisch regierten Nazi-Exil-Ländern Ägypten und Syrien vermeintlich „progressive Verbündete“ erstanden seien. Inklusive ganz neuer Konstellationen: „Es ist ein bezeichnendes Beispiel, dass die rechtsextreme deutsche `National-Zeitung´ unter Titeln wie `Wir werden Palästina befreien´ ihre Spalten den Terroristen öffnet und die linke ´Abendzeitung´ in München Moshe Dayan als grinsenden, einäugigen Piraten porträtiert. Außenminister Bravo des faschistischen Spanien bekundet seine Solidarität mit den Arabern, und linksradikale Studenten des deutschen SDS demonstrieren gegen den israelischen Botschafter. Während der Anwalt der rebellierenden Studenten in Berlin, Horst Mahler, nach einem Bombenanschlag in die Arme der palästinensischen Guerillas flieht.“

Da Hans Habe in dieser Zeit jedoch vor allem in der „Welt“ und der „Welt am Sonntag“ publizierte (und sich, fairerweise sei es nicht verschwiegen, in der Polemik gegen friedvolle 68er auch so manches Mal rhetorisch vergaloppierte), war es leicht, ihn als „Axel Springers Edelfeder“ abzutun und seine konzisen Analysen zu ignorieren. Das galt dann selbst für sein 1971 erschienenes Israel-Tagebuch „Wie einst David“, dem damals kein Geringerer als Max Horkheimer höchstes Lob gezollt hatte. Heute nur noch antiquarisch erhältlich, liest sich dieser reflektierte Reisebericht gerade in diesen Tagen wieder schockierend aktuell. Hans Habe, in Bezug auf die in Folge des Sechs-Tage-Krieges erfolgte Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens sicherheitspolitisch überzeugt, doch politisch skeptisch, entdeckt dann vor allem in Kern-Israel eine bezirzende Vielfalt. Eine äußerst lebendige und – dies vor allem – dauer-debattierende und selbstreflexive Zivilgesellschaft, in der er, der zeitlebens Unbehauste, sich sogleich zu Hause fühlt und nun geradezu physisch zu verstehen lernt, weshalb dieses winzige und permanent bedrohte Eretz Israel letztlich die Garantie ist für das Fortbestehen des jüdischen Volkes.

Höchstwahrscheinlich würden in den heutigen Tagen so manche sogleich eine schlechte Benimm-Note ausstellen ob vermeintlicher „Pauschalisierung“, und doch ist es nicht gänzlich von der Hand zu weisen, was Habe damals resümierte:

„Stolz und Primitivität gehen Hand in Hand: Intelligenz ist die Fähigkeit, mit den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen zu leben. Vielleicht ist das der Grund, warum das Zusammenleben von Israelis, die nicht mehr Minderwertigkeitskomplexe haben als andere Völker, und Arabern, deren Minderwertigkeitskomplexe in Stolz explodieren, so schwer ist. Vielleicht ist das von den Führern der arabischen Welt gegenüber ihren Völkern ja auch so gewollt: Wer kein Brot hat, dem bleibt nur der Stolz.“

Hans Habe (1911-1977) in seinem Buch "Erfahrungen" (Walter Verlag, Olten, 1973).

Und dabei wurde dieses Buch, das Israels Primat der Wehrhaftigkeit anhand zahlreicher Alltagsbegegnungen und ohne jegliches Tremolo beschreibt, vor dem Münchener Olympia-Massaker an elf israelischen Sportlern geschrieben, vor der Katastrophe des Yom-Kippur-Krieges, der Israel so unvorbereitet traf. (Während hierzulande nicht etwa der tödliche arabische Totalangriff, sondern das darauffolgende Öl-Embargo und die eher als putzig wahrgenommenen „autofreien Sonntage“ im Gedächtnis geblieben sind.)

Bis zu seinem Tod 1977 trieb Hans Habe (daran ganz ähnlich dem Shoah-Überlebenden Jean Améry) die Frage um, weshalb weite Teile der westlichen Linken nicht etwa Israels Dilemma wahrnehmen, sondern sich mehr oder minder deutlich auf die Seite reaktionärer arabischer Staaten und terroristischer Organisationen stellen. In „Erfahrungen“, seinem letzten großen autobiographischen Buch, beschreibt Habe jenes toxische Amalgam, das längst wieder – nunmehr unter Modebegriffen wie „woke“, „post-colonial studies“ oder „intersektionale Erinnerung“ – fröhlich Urständ feiert und dabei irrtümlicherweise als „neu“ missverstanden wird.

„Wer weiß, so ist zu hören, sind die Juden gar keine Juden, es sind nur die – endlich – normalen Israelis. Wenn man sie ins Meer wirft, wird der `Normalisierungsprozess` abgeschlossen sein. Andere dagegen weichen in die Vergangenheit aus. Viele verdoppeln ihr Bekenntnis zu den von Hitler ermordeten Juden. Sie verdammen den Antisemitismus von gestern, verwandeln ihn aber schnell, unter der Hand, in die `Misshandlung einer Minorität´ – und was sind dann die armen Palästinenser von heute anders als die von den bösen Israelis unterdrückte Minderheit? Das intellektuelle Zauberkunststück macht es möglich...“

Hans Habe (1911-1977) in seinem Buch "Erfahrungen" (Walter Verlag, Olten, 1973).

Keineswegs tröstend, aber doch erhellend, dass derlei dreiste Umwertungen bereits vor fünfzig Jahren en vogue waren. Unbedingt ermutigend jedoch zu wissen, dass es schon damals Menschen gab, die sich von solch moralisierender Rabulistik nicht einschüchtern ließen, sondern luzid mit einer Darlegung der Tatsachen konterten. An sie zu erinnern, könnte womöglich heute wichtiger sein denn je. 

Marko Martin, geb. 1970, lebt, sofern nicht auf Reisen, als Schriftsteller in Berlin. Nach dem literarischen Tagebuch „Die letzten Tage von Hongkong“ erschien soeben sein Essayband „`Brauchen wir Ketzer?` Stimmen gegen die Macht“ (Arco Verlag, Wien).

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